Justinus Kerner

Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Mein Bruder Carl


Mein Bruder Carl, geboren den 7. März 1775, kam in seinem zwölften Jahr in die Carls-Akademie und war zum Studium der Militärwissenschaften bestimmt, bei welchem er fest und treu verblieb. Er war von großem, schlankem Körperbau mit einem schönen Ebenmaß im Gesichte und einer Würde ohne Steifheit in seinem ganzen Betragen. Sein fleißiges Studium der Militärwissenschaften, besonders aber der Mathematik, gab ihm mehr Ruhe, Ernst und Besonnenheit. Wie bei den meisten Schülern der Carls-Akademie bemerkte man auch an ihm vielseitige Bildung.

Wie die Mathematik in alles Wissen eingreift, so ging er auch an ihrem Faden allem Wissen nach, und so bildete er sich nicht bloß zum Kriegsmanne, sondern auch zum Mechaniker, zum Bergmanne, zum Ökonomen und zum Staatsmanne aus, worauf ich später zurückkomme. Nach dem Tode Herzog Carls löste sich die Carls-Akademie auf, denn sie konnte auch nur durch und mit ihrem Schöpfer bestehen, der mit Leib und Seele ihr eigener Direktor war. Die Lehrsäle wurden Stallungen, und: »Olim musis nunc mulis!« schrieb ein Satiriker an ihre Tore.

Die Zöglinge, die sich bei ihrer Aufhebung noch in ihr befunden hatten, wie mein Bruder Carl, zerstreuten sich nun in alle Welt, und mein Bruder kam zur Fortsetzung seiner militärischen Studien nach Darmstadt, wo er den Unterricht alter, erprobter Ingenieure genoß. Am 1. Oktober 1794 trat er als Unterlieutenant in die herzoglich-württembergische Artillerie. – So viel von meinen Brüdern aus den Jahren neunzig und etlich und neunzig.