Justinus Kerner

Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Der Oberamtsdiener Vogel


Die amtliche Bedienung meines Vaters war ein alter, gewesener Tambourmajor, der ein Alter von mindestens 90 Jahren erreicht haben muß. Er hatte im Siebenjährigen Kriege zuerst eine Schanze bestiegen und dadurch diesen Ehrendienst erlangt. Er hieß Vogel und war eine hagere, hohe Gestalt mit langem Zopfe und sehr aufrechter, militärischer Haltung. Er bediente zugleich auch meines Vaters Rappen, der meinen Vater und mich oft nach Neckarweihingen an den Neckar zum Bade führte. Dieses Reit- und Chaisenpferd gehörte eigentlich auch ganz zur Familie. Wir liebten es alle wegen seiner Zahmheit und Kraft. Wenn mein Vater des Nachts von Stuttgart zurückkehrte, hing er gemeiniglich, um zu schlafen, das Leitseil über den Arm, und das treue Tier geleitete ihn sicher, allen andern Gefährten von selbst ausweichend, bis vor das Ludwigsburger Tor. Auch meine Mutter fuhr oft ganz allein mit ihm, ohne Kutscher. Mein Vater ließ es oftmals abmalen.

Jener alte Amtsdiener hatte den Tag über meistens seinen Sitz in den Arkaden auf einer grünen Bank vor der Türe der Oberamtei. Nachmittags fand man ihn da oftmals ganz aufrecht schlafend sitzen und im Schlafe auf seinen gelben, ledernen Hosen trommeln, dann mit einem Pfiffe erwachen und verwundert um sich schauen; denn er vermeinte sich im Traume noch bei seinen Trommlern. Wenn wir ihn so schlafend dasitzen sahen und das Trommeln seiner Finger auf den Hosen anfing, so holten wir Knaben einander oft leise herbei, sahen ihm lange zu und weckten ihn endlich durch einen Zug am langen Zopfe, von dem er dann erwacht, uns Hiebe austeilte.

Sonst ergötzte er uns Kinder besonders durch seine Kunst, in Holz zu schnitzeln, und wir quälten ihn um manches Kunststück von seiner Hand. Vortrefflich verstand er die Kunst, Pfeile zu schnitzen und Bögen dazu zu verfertigen, die wir dann auf dem Marktplatze in die Höhe und in die Weite schossen, ja sogar manchmal damit die schwarzen Lederhosen verletzten, die der Turmwächter Faber, der zugleich Seckler war, an dem eisernen Geländer des gelben Stadtkirchenturms, seiner Wohnung, zum Trocknen aufgehängt hatte.