Justinus Kerner

Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Die Rakete auf dem Küchenherde


Ein gefährlicheres Spiel war für mich das Feuerwerk. Meine alte Kindsmagd hatte einen Feuerwerker geheiratet, in dessen Stube ich oft stundenlang zubrachte; er lehrte mich das Füllen und Stampfen von Patronen zu Schwärmern und Raketen, bei deren Abbrennung in den Gärten ich meine Mutter oft in Sorge und Angst versetzte. Ja, einmal als mein Vater sich auf einem Amtsorte in Geschäften befand, legte ich um die Mittagszeit in der Küche eine Rakete geradezu zwischen die Fleischtöpfe ins Feuer, welche auch alsbald ihren Zug durchs Kamin nahm, so daß über demselben noch die Funken in die Luft stoben und Bürgermeister Kommerell in Begleitung seiner Frau und des hinter ihm nachschießenden Amtsdieners, ohne Perücke und Stock, in die Oberamtei sprang.

Ein Brandunglück war nicht geschehen, wie die Nachbarn vermuteten, aber das Mittagessen war für die Skribenten, die, wenn mein Vater nicht bei Tische war, mit besonderem Appetit aßen, verdorben. Die größte Sorge meiner Mutter war nun, diesen Vorfall meinem Vater zu verbergen, um mir eine Strafe zu ersparen; aber es konnte nicht geschehen, die Frau Bürgermeisterin verriet es. Meine Strafe war, daß ich einige Stunden in Arrest in einen ziemlich engen Raum mußte, welchen eine Türe mit einer von ihr ungefähr eine Elle abstehenden andern Türe bildete. In meinen größten Schmerzen erblickte ich in diesem Dunkel auf einmal eine mir ganz wunderbare Erscheinung, die ich nie gesehen hatte. Auf der vor mir stehenden Türe sah ich mit Verwundern in kleiner Figur die Fenster und Vorhänge des Zimmers, die Blumenstöcke, die auf den Simsen standen, und die Menschen, die im Zimmer hin und her gingen; aber alles verkehrt. Meine Einsperrung ward mir nun zu großer Unterhaltung; ich fühlte mehr Freude als Schmerz und wünschte nimmer aus Langweile heraus, sondern nur, um bald untersuchen zu können, wie und was das sei.

Nach meiner Befreiung, wo der Vater wieder liebreicher war, mußte auch er sich hineinsperren lassen, um diese Erscheinung zu sehen; auch die Mutter und die Schwestern.

Das Ganze war nichts, als daß ein Löchlein, ich weiß nicht zu welchem Zwecke, durch die erste Türe gebohrt war und die zweite Türe zufällig in der Entfernung stand, daß gerade das Licht so auf sie einfallen konnte, daß sich hier die Gegenstände des innern Zimmers als in einer Camera obscura abbildeten.

Von dieser Zeit an gab ich mich immer mit den optischen Erscheinungen einer Camera obscura ab. In allen Wohnungen, wo ich längere Zeit mich aufhielt, machte ich in den Zimmern eine Camera obscura zur Betrachtung der Vorübergehenden und der Gegend; und in Tübingen im Jahr 1805, als ich bei Kielmayer die Vorlesungen über Chemie hörte, gab ich mir alle Mühe, vermittelst Hornsilber die aufs Papier gefallenen Lichtbilder zu fixieren, wie in späterer Zeit Daguerre durch das Jodin mit glücklicherem Erfolg tat.

Die Frau Bürgermeisterin dachte ich ihres Verrates wegen doch auch mit etwas zu beschweren, wobei ich zugleich auch auf die Wehen, die sie mir verursacht, einen Genuß hätte. Nach ein paar Tagen ging ich morgens zu ihr und sagte, da sie so gute Zwiebelkuchen backe, so habe meine Mutter geäußert, mir werde sie es wohl zulieb tun, wenn ich ihr sagen würde, daß sie so sehr wünsche, sie möchte meinem Vater ein paar Zwiebelkuchen backen; aber sie solle ja nichts davon sagen, daß die Mutter das gewünscht habe; denn sie wisse ja, daß er oft recht zornig werden könne. Die Bürgermeisterin, und noch mehr der Herr Bürgermeister, waren sehr erfreut, die Ehre zu haben, dem Herrn Regierungsrat und Oberamtmann Kuchen backen zu dürfen; und am andern Morgen erschienen auch wirklich zwei durch die ganzen Arkaden duftende, vortreffliche Zwiebelkuchen, die mein Vater, um nicht ungefällig zu sein, annehmen mußte und von welchen auch ich mein gutes Stück erhielt. Aber die Frau Bürgermeisterin konnte meine fingierte Botschaft nur ein paar Tage lang auf dem Herzen behalten, sie erzählte dem Vater, der sie etwas mit der Zwiebelsendung aufzog, wie sie nicht gewagt hätte, das zu tun, wäre sie nicht dazu aufgefordert worden.

Ich wurde von ihm ins Verhör genommen und bekannte alles, meinem Vater aber mochten die Zwiebelkuchen zu gut geschmeckt haben, ich erhielt bloß den Titel eines infamen Buben.