Justinus Kerner

Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Die Klosterprediger


In dieser großen, gotischen Kirche wurde nur zur Sommerszeit Gottesdienst gehalten; für die andere Jahreszeit war eine andere Kirche vorhanden, die aber nur wie eine Art von Betsaal aussah und zwischen dem Dormente und dem Hause lag, in dem der Speisesaal der Klosterzöglinge sich befand. Es war aber eine schlechte Erbauung in beiden. Jener Betsaal hieß die Sommerkirche. Der Gottesdienst begann meistens mit der Zeremonie, daß der Primus der Promotion (der Erste der Zöglinge) sich erhob, nach dem Stuhle, in dem die Frau Prälatin saß, schritt und ihr mit tiefem Bücklinge das Gesangbuch mit dem Gesange, der vorgeschrieben war, darreichte, wobei der gegenübersitzende Herr Prälat seine Schritte wohlgefällig verfolgte.

Die Frau Prälatin hatte ganz den Kopf und die Augen einer Eule, war gegen Untergebene und den Herrn Gemahl sehr herrschsüchtig, gegen uns aber ziemlich bescheiden; denn wir kannten sie schon von Ludwigsburg her, wo sie eine andere Rolle als Haushälterin im Forsthause des Osterholzes spielte.

Außer dem Professor Mayer befand sich damals zu Maulbronn noch ein Professor namens Hiller, ein alter, frommer, stiller Mann, mit einem gar zarten Stimmchen. Er war hauptsächlich Mathematiker. Auch er war, wie Mayer, zugleich Prediger und sein Vortrag so, daß man bald schlafen mußte, welche Wirkung Mayers Vortrag nicht hatte. Dieser war sehr eindringend und erweckend, denn er tönte fast ganz so wie ein Kamm, wenn man mit ihm auf einer Fensterscheibe auf und ab fährt.

Mayer hatte eine sehr gelehrte Schrift in lateinischer Sprache, betitelt »Historia diaboli«, geschrieben und predigte viel vom Teufel; der sanfte Hiller aber mehr von den Engeln, ihrer und der Menschen Erschaffung und von dem Alter der Welt und der Erzväter, wobei er lange Berechnungen anstellte.

Auch der Herr Prälat predigte zuweilen, soll aber nach Älterer Urteil, auch wenn er predigte, eigentlich gar nichts gepredigt haben, wie ich mich auch durchaus nicht mehr erinnere, was er denn einmal predigte. Außer der Kirche predigte er mir oft (und diese seine Predigten behielt ich), wenn ich mit meinen Kameraden die Stille der Kreuzgänge in der alten Kirche und den Fleiß der Zöglinge auf dem Dormente durch laute Spiele zu sehr störte. Da schuf er mir starken Zank beim Vater, kam aber darüber oft mit seiner Ehehälfte in einen noch stärkern.