Justinus Kerner

Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Die Frau von Gaisberg und ihre Katzen


Ohnweit des Chemikers Hause wohnte auch ein originelles Wesen; es war eine Frau von Gaisberg, geborene von Üxküll. Sie lebte von ihrem Manne getrennt in Gesellschaft einer Menge Katzen. Sie hatte ein wahres Katzenkloster, dessen Äbtissin sie war. Ihre Kleidung war eine Kutte, wie die eines Kapuziners; um den Leib trug sie ein Band, an welchem ein langes Messer hing, das Haar hatte sie abgeschoren, und auf dem Haupt trug sie nach Männer Weise eine weiße Zipfelkappe. Ihre Gesichtszüge waren mehr die eines Mannes als einer Frau. Ihr Zimmer war durch einen großen russischen Ofen geheizt, den ihr der Chemiker empfohlen und erbaut hatte.

Vor diesem Ofen bereitete sie sich und ihren Katzen im Zimmer die Speisen und schnitt sie ihnen mit dem langen Küchenmesser vor. Nahmen die Familien der Katzen zu sehr zu, so gebrauchte sie auch besagtes Messer, um den überflüssigen jungen Katzen die Köpfe abzuschneiden. In ihrem Zimmer herrschte die größte Unordnung. Küchengeräte, Möbels und Porträts standen und lagen untereinander. Den größten Teil ihres Zimmers nahm eine große Bettlade mit einem Dache, einem sogenannten Himmel, ein, auf welcher die Lieblingskatze mit ihrer Familie ihr Lager hatte und ihre Kindbetten hielt. Die Umgebung dieser Frau und ihre ganze Erscheinung hatte etwas Dämonisches, Hexenartiges. Sie machte in Begleitung einer großen Prozession von Katzen, von denen mehrere aufrecht auf den Hinterfüßen liefen (denn so hatte sie sie gelehrt), öfters einen Spaziergang im Garten hinter ihrem Hause, der an den des Chemikers stieß. Hier beobachtete ich sie oft heimlich. Ich hörte, daß sie mit ihnen in einer eigenen, den Katzentönen ähnlichen Sprache konversierte und sie dann auf einem Rasenplatz mit Baldrian fütterte, worauf sie die wunderbarsten Stellungen und Sprünge machten, an denen sie sich zu ergötzen und die sie durch ähnliche Sprünge nachzumachen schien.

Bei diesem Anblicke fiel mir immer die Prälatin von Maulbronn mit dem Eulenkopfe neben den im Mondschein in Prozession zum Klosterbrunnen aus dem Keller ziehenden Ratten ein. Ich dachte mir beide, jene mit den Katzen und diese mit den Ratten zusammen, als echte Bilder aus einem Hexenmärchen. Als diese Frau später zu Stuttgart starb und ihr Sarg auf den Kirchhof gebracht wurde, sprangen, als man das Sargtuch abdeckte, zwei ihrer Lieblingskatzen, die sich unbemerkt unter demselben bei ihr festgehalten hatten, aus demselben hervor und verschwanden unter den Grabmonumenten.

Nächst dem Garten dieser Frau hatte der Chemikus ein kleines Häuschen, in welchem er seine Essige aufgestellt hatte; er behauptete aber, er müsse dieses Häuschen versetzen; denn sooft diese Frau mit den Katzen durch den Garten gehe, bemerke er nachher, daß seine Essige nicht mehr die Reinheit wie vorher hätten und sie ihm auch sehr oft ganz verderben.