Justinus Kerner
Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit
Mein Bruder Carl
Um diese Zeit (1803) war mein Bruder Carl mit Errichtung einer reitenden Artillerie in Ludwigsburg beschäftigt. Der damalige Oberstlieutenant, nachheriger General, Kammerer, der damit beauftragt war, setzte in ihn alles Vertrauen und übergab ihm dieses Geschäft, und es wurde auch bald eine Batterie von vier Geschützen geschaffen und eingeübt.
Mit welchem Erfolge er das Eigentümliche dieser wichtigen Waffe aufgefaßt und bearbeitet hat, beweist die von ihm im Jahre 1803 herausgegebene Schrift »Betrachtungen über die reitende Artillerie, deren Organisation, Gebrauch und Taktik«. Von dieser sagte ein Sachverständiger: »Sie hat durch die Gründlichkeit und Genialität, womit die wesentlichen Momente behandelt sind, einen solchen Anklang gefunden, daß sie alsbald in der Anwendung der damals noch jungen Waffe schöne Früchte getragen hat und dadurch in der Tat die Grundlage ihrer allgemeinen Brauchbarkeit in den nachfolgenden, bedeutenden Feldzügen geworden ist.« Aber auch im Zivilbauwesen wußte General Kammerer das schöpferische Genie dieses jungen Mannes zu verwenden, als er von dem damaligen Kurfürsten beauftragt wurde, die dem Staat gehörenden Eisenwerke bei Freudenstadt zu heben und mittelst derselben dem württembergischen Gewerbsmanne inländischen Stahl und dem Landmanne einheimische Sensen zu verschaffen. Kammerer hatte auch von diesem Gewerbe wenig Begriffe, brachte aber durch Strenge und festen Willen Ernst und Tätigkeit in seine Umgebung, ein Verdienst, das diesem Manne nicht abzusprechen ist. Unter meines Bruders spezieller Leitung kam im Jahre 1802 und 1803 das projektierte Etablissement in Ausführung; der Kurfürst legte ihm den Namen Friedrichshammer bei; dieses Werk, von tüchtiger Hand fortgeführt, kann in Anlage und Betrieb noch heutiges Tages als ein Muster in jener Fabrikation betrachtet werden. Von dort an sammelte sich mein Bruder Carl im Fache der gewerblichen Technik und besonders vom Eisenhüttenwesen einen Schatz von Kenntnissen, welcher später dem Vaterlande so reiche Früchte bringen sollte.
In diese Zeit fällt wohl auch nachstehende Anekdote.
Die alte Einrichtung des Arsenals in Ludwigsburg entsprach dem Schönheitssinne des Kurfürsten Friedrich nicht, und es sollte unter der Anleitung jenes Oberstlieutenants Kammerer demselben eine geschmackvollere Ausstattung gegeben werden. Auch hiezu nahm Kammerer die Hülfe meines Bruders in Anspruch. Die Räume des Saales im obern Stocke des Arsenales wurden mit den kleinen Waffen malerisch dekoriert, und Kammerer war besonders darauf versessen, in aller Eile Statuen und Büsten alter Kriegshelden zu dieser Ausschmückung zusammenzutreiben, unter welche der gelehrte Conz Inschriften aus lateinischen Klassikern liefern mußte. Noch eine Büste fehlte, ich glaube, die Cäsars. »Springen Sie zum Bildhauer Ysopi«, rief Kammerer meinem Bruder zu, »es muß so ein Kerl noch her.« Ysopi versicherte meinen Bruder, er besitze keine Büste eines Kriegshelden, da sehe er die einzige Büste, die er habe, das sei aber die von Jomelli, dem alten Kapellmeister des Herzogs Carl. Diese Botschaft versetzte aber den Oberstlieutenant in keine Verlegenheit. »Das ist gleichgültig«, sprach er, »so ein Kerl muß eben her.« Und so wurde die Büste des Kapellmeisters Jomelli in das Arsenal als die Cäsars versetzt.
So auf ganz andern Seiten beschäftigt, kam mein Bruder während meines Aufenthalts in der Fabrik (der fast zwei Jahre lang dauerte) nur wenig mit mir in Umgang. Kam ich zu ihm, so wollte ich auch keine Klage über meine Lage führen und ihm meine Wünsche eröffnen, da ich wohl wußte, daß er dann den ihm dazumal spärlich zugemessenen Sold, um die Mutter zu erleichtern, zum Teil auf meine Studien verwenden würde. Meine poetischen Versuche verbarg ich vor ihm, da er keine anderen Gedichte als von Schiller und Seume, so verschieden diese auch voneinander sind, gelten ließ.